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Trainer: Ein Traumberuf auf dem Schleudersitz
Geboren wurde er in Koblenz-Neuendorf, als Fußballer machte er sich bei TuS Neuendorf seinen Namen, ehe es ihn in die große weite Welt verschlug: Kulttrainer Rudi Gutendorf steht mit 54 Trainerstationen im Guinness-Buch der Weltrekorde. Was er in diesem Zeitraum erlebt hat, lässt er im LokalAnzeiger Revue passieren.
Die schönste Prämie, die ich in meinem langen Fußballerleben jemals bekommen habe, jedenfalls im Nachhinein betrachtet, war ein großes rotes Herz, das mir Anhänger des MSV Duisburg nach der Erringung der deutschen Vizemeisterschaft auf die Eingangstür meines Hauses gepinselt haben. Voller Stolz ließ ich es wochenlang nicht entfernen, damit auch wirklich jeder Nachbar sehen konnte, wie ich „geliebt“ wurde. Viele Spieler messen heutzutage die Anerkennung nur noch in Millionen. Weit über hundert Bundesligaspieler kassierten im Jahr 2001 mehr als eine Million Mark jährlich, 1996 waren es laut „Sport-Bild“ 86, nur zwei Jahre zuvor lediglich 36. „Was wir verdienen, ist absurd“, stand der Bremer Nationalspieler Marco Bode selbstkritisch ein. „Gegenüber einer Krankenschwester hätte ich keine Argumente, um mein Millionen-Gehalt zu rechtfertigen.“ Man kann es den Profis nicht vorwerfen, dass sie das dankend einstecken, was ihnen angeboten wird. Aber der Fußball nimmt eine falsche Entwicklung, wenn die Vorbilder der Jugendlichen mehr an die Prämien denken als an den Einsatz, an das „Sich Zerreißen“ für ihre Mannschaft und ihren Verein. Ich erinnere mich an den Juli 1954, als unsere Mannschaft in Bern die Fußballweltmeisterschaft gewann. „Überall werden die siegreichen Fußballer beschenkt“, schrieb eine Zeitung, „mit Regenmänteln, Turnschuhen, Unterwäsche, jedoch auch mit einem Kühlschrank. Die vorletzte Station der Siegestour ist Bonn. Dort überreicht man jedem Spieler einen Lederkoffer. Zum Abschluss trifft sich die Mannschaft im kleinen Dingolfing in Bayern, wo auf jeden WM-Fußballer ein Goggo-Motorroller der Firma Glas wartet.“
Die Vorzüge des Trainerlebens
Warum ich Trainer wurde? Nun, ich bin lange genug Spieler gewesen und habe gelernt, mich unterzuordnen. Aber ich habe dabei auch pädagogische und psychologische Katastrophen erlebt – nun wollte ich es besser machen. Ein Sklave sehnt sich nicht nur nach Freiheit, er möchte auch mal was zu befehlen haben. Ein Fußballprofi mit Sensibilität und Empfindsamkeit dürstet danach, einmal als Trainer zu zeigen, was er drauf hat. Die einzige Ausnahme, die ich kenne, ist der großartige Bernard Dietz, Kapitän der Europameisterelf von 1980, der die Angebote aus der Glitzerwelt der Bundesliga ablehnte und sich auf die Jugend- und Amateurarbeit konzentrierte.
Ich bekam viele Briefe von Kindern, meist in den Schulferien. Ein zwölfjähriger Junge drückte einmal wörtlich aus, was ich selbst als kleiner Steppke empfunden hatte. „Wenn ich mal groß bin, will ich Fußballtrainer werden. Was anderes kommt für mich gar nicht in Frage. Denn ein Fußballtrainer hat es gut: Er braucht kein Eintrittsgeld zu bezahlen. Er kriegt sogar noch was dafür, wenn er zusieht. Und das ist nicht mal wenig. Mein Vater hat gesagt: Ein Trainer verdient mehr als der Bundeskanzler. Dabei wollte ich auch nicht Bundeskanzler werden, denn der muss noch arbeiten, obwohl er schon alt ist. Und Bundeskanzler kann immer nur einer sein, aber Trainer braucht man viele. Ein Trainer hat es auch gut, weil er selbst nicht mitspielen braucht. Wenn seine Mannschaft mal verliert, kann er ganz laut schimpfen und sich an die eigene Brust schlagen: Wenn ich mitgespielt hätte, wäre es bestimmt anders gelaufen . . . Ein Trainer weiß immer, wie man gewinnen kann. Wenn die Mannschaft dann doch verloren hat, so lag es nur daran, dass der Vorstand mehr zu sagen hatte als der Trainer. Ich will schon deshalb Trainer werden, weil er eine so gute Arbeitszeit hat. Nur dreimal in der Woche am Nachmittag muss er zum Sportplatz, und dann nochmal am Sonntag. Er hat es noch besser als ein Lehrer. Der muss auch da sein, wenn jemand nachsitzen muss. Ein Trainer braucht sich niemals gute Anzüge zu kaufen. Er sitzt immer nur im Trainingsanzug herum. Sepp Herberger ist sogar im Trainingsanzug ins Kino gegangen.
Wenn ich mal Trainer bin, höre ich endlich nicht mehr meine Mutter rufen: Am Sonntag musst du besonders gut angezogen sein. Manchmal wird ja auch ein Trainer entlassen. Das muss lustig sein. Denn dann kommen sofort zehn Vereine angestürmt und wollen den Trainer bei sich einstellen. Von dem alten Verein kriegt er eine gute Abfindung und vom neuen sofort ein neues Auto. Deshalb freuen sich alle Trainer besonders, wenn sie schnell wieder entlassen werden. Es ist der einzige Beruf, wo man mit Entlassungen immer neue Gehaltserhöhungen herausholen kann. Wenn ich Trainer bin, stehe ich jede Woche mindestens dreimal in der Zeitung. Alles, was ich sage, wird dort abgedruckt. Ich werde es ganz schlau machen und mir immer etwas Neues ausdenken, denn dann kriege ich auch dicke Überschriften. Trainer, die ganz klug sind, stehen viel öfter in der Zeitung als Bundeskanzler. Mein Vater hat zwar neulich mal gesagt, dass ich einen vernünftigen Beruf erlernen soll, aber ich lasse mich nicht davon abbringen, dass ich Fußball-Trainer werden will.“
Training muss Spaß machen
Dieser Traumberuf ist bunt, schillernd und faszinierend, aber auch riskant; doch ich will keine Klischees vom „Schleudersitz“ und „elektrischen Stuhl“ aufwärmen. Das Fatale ist ja nicht der Schleudersitz an sich, sondern die Tatsache, dass so viele daran drehen! Manchmal sieht das aus der Sicht eines viel geplagten, wenn auch gut bezahlten Fußball-Lehrers so aus, als habe sich in gewissen Vereinspositionen der höheren Klasse eine Ansammlung analphabetischer Dummköpfe breitgemacht, „geistig-rachitische Bettnässer“ nannte ich sie einmal in einem Wutausbruch. Trotz allem finde ich, ist der Trainerberuf einmalig, so erregend, dass ich in meinem Leben alles noch einmal so und nicht anders machen würde, besäße ich die Möglichkeit dazu. Meinem Sohn Fabian kann ich nur raten: Werde Trainer! Es ist der abenteuerlichste, romantischste und interessanteste Beruf, den man wählen kann. Freilich würde ich meinem Sohn auch die Lebensregel des alten Grafen Luckner ans Herz legen: „Was immer du anpackst, mache es mit Anstand und ganzem Herzen. Selbst wenn du Teller waschen musst, dann wasche sie sauber.“ Mit über 70 Jahren, so sagt man manchmal, sei ich nur noch ein Sideline-Trainer. Aber das stimmt nicht. Ich konnte alles noch vormachen wie vor 20 Jahren. Ich konnte noch zwei Torwarte hintereinander trainieren. Wenn man das nicht mehr kann, muss man aufhören. Die Zeit der Feldwebel-Trainer, die mit Herumkommandieren, Anbrüllen und Schleifen den Erfolg zwingen wollen, ist längst vorbei. Ich habe meine Spieler immer hart rangenommen, sie aber niemals ausgelaugt. Auch Training muss Spaß machen, das ist die Kunst im Sinne Sepp Herbergers, der gesagt hat: „Sie müssen lachend umfallen.“ Die heutige Jugend spricht eine andere Sprache. Man kann die Spieler nicht mehr in den Hintern treten, wenn sie nicht spuren, wie das in der Nachkriegszeit bei uns in Neuendorf durch den verrohten Krieg noch drin war. Man muss die Sprache der heutigen Jugend lernen – für mich die schwerste Fremdsprache, weil ich laut und viel zu unbeherrscht bin. In der Bundesliga sind viele Spieler bereits mit 20 Jahren Millionäre. Die lassen sich nichts mehr gefallen. Da muss man einen Weg finden, wie sie den Trainer respektieren können. Geliebt wird man von den Spielern auf keinen Fall, nicht, wenn man hart ist und bis an die Schmerzgrenze trainiert; auch nicht, wenn man nachgiebig ist, dann ist man eine Flasche. Man mus sich bemühen, die Interessen der Gegenwart mit ihnen teilen.
In der nächsten Woche lesen Sie die Fortsetzung.
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