Westerwald-Rundschau

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König Kunde verlangt Angriffsfußball

Geboren wurde er in Koblenz-Neuendorf, als Fußballer machte er sich bei TuS Neuendorf seinen Namen, ehe es ihn in die große weite Welt verschlug: Kulttrainer Rudi Gutendorf steht mit 54 Trainerstationen im Guinness-Buch der Weltrekorde. Was er in diesem Zeitraum erlebt hat, lässt er im LokalAnzeiger Revue passieren.

Unser Fußballspiel ist ein Plädoyer für das nicht Planbare. Der schmale Grat zwischen der Ordnung und dem Sprengen der Regeln bewirkt das dramatische Geschehen und die Faszination des Spiels, und eben diesem Drama in seiner Einfachheit verdankt der Fußball seinen Siegeszug durch die Welt. Das Wichtigste für die Akteure ist zu gewinnen, in der Tabelle vorn zu liegen. Es geht um Gruppensinn und Spieltaktik, die für den Erfolg notwendige Solidarität. Und nicht zu vergessen, um die Rolle des Zufalls, des Glücks: Ein Schuss auf den Balken kann den Ausgang eines Spiels besiegeln, wie eine kleine Panne einen Lebensentwurf zum Scheitern bringen kann.

Das Fußballmatch erinnert uns auch brutal an andere fundamentale Wahrheiten, besonders daran, dass das Glück der einen das Unglück der anderen bedeutet. Für die Mannschaft ist es das Wichtigste zu gewinnen, die Fans aber wollen neben dem Sieg auch das große Spiel, wollen spielerische Ästhetik und Dramatik. Deshalb sind Spiele im eigenen Stadion, in vertrauter Umgebung so schwierig. Man kann nicht so agieren, wie es vernünftig wäre. Das zahlende heimische Publikum zufrieden zu stellen, soll vorrangig sein. König Kunde verlangt Angriffsfußball. Er will Tore sehen. Anfeuerungsrufe von den Rängen stimulieren so sehr, dass es für die Spieler nur eine Richtung gibt: vorwärts! Das war für mich als Trainer-Taktiker immer ein großes Problem, da ich nie der Meinung war, dass der Angriff die beste Verteidigung ist.

Pfiffe und Buhrufe wirken demoralisierend

Undisziplinierte Kicker werden zu blinden Rennern. Oft kommt die Gastmannschaft mit der Devise, dass eine Punkteteilung ein Erfolg sei. Umgemünzt auf die Spielanlage heißt das: passive Einstellung, das Spiel des Gastgebers zerhacken. Die defensive Taktik schafft den nötigen Raum für die Konterangriffe mit ein oder zwei schnellen Stürmern. Ihr Vorteil: Bei ihren Gegenspielern hat sich aufgrund der spielerischen Überlegenheit Phlegma eingestellt. Die Konzentration hat nachgelassen. Auf diesen Zusammenhang baute ich meine Strategie ein Leben lang auf. Gelingt dem Gastgeber kein frühes Tor, so wird man immer nervöser. Auch die äußerste Willensbereitschaft nutzt selten, denn im gleichen Maße, wie die eigene Nervosität wächst, steigert sich die Sicherheit des Gegners. Außerdem: Pfiffe und Buhrufe wirken demoralisierend. Verkrampfung und Fehlpässe sind meist die Folge. Ist das Stammpublikum primär vereinsorientiert, so ist das kritische Publikum ausgesprochen leistungsorientiert. Bei beiden Gruppen aber handelt es sich um verbraucherbewusste Zuschauergruppen, die für ihr Geld gute Leistung erwarten. Mit den gestiegenen Eintrittspreisen glaubt man, auch mehr Rechte zur Kritik zu haben. Die Zuschauer wählen das Opfer und haben Einfluss auf die Wahl des Helden. Hohn und Spott nach einem missglückten Schuss – eine schlechte Flanke, und der Ruf „Üben!“ erschallt aus tausend Kehlen. Schließlich die letzte, für das Spiel nicht selten tödliche Stufe: Die Spieler werden ausgelacht und in Sprechchören zum Aufhören aufgefordert. Dann kommen die ,,Trainer-raus“ Rufe – aber nicht immer. In Düsseldorf, als ich mit dem HSV gegen Fortuna spielte, sang eine ganze Kurve: „Krohn, du Arschloch“ immer und immer wieder. Krohn, der neben mir auf der Bank saß, sah mich vorn der Seite an und sagte: , Das verdanke ich dir.“

Trainer damals und heute

Diesem Job verdanke ich die schönsten, aber auch die bittersten Stunden meines Lebens. Was hat sich verändert? Im Grunde nicht viel. Jeder ist für sich allein und kann auf wenig Solidarität bauen. Daher hat mir Egidius Braun imponiert, weil er Berti Vogts nach der verpatzten WM 1998 nicht fallen ließ, obwohl er den deutschen Fußball durch sein ungeschicktes Verhalten grenzenlos blamiert hat.

Zwischen 1954 und 1990 zählten wir fast immer zur Weltspitze, wurden dreimal Weltmeister und dreimal Vizeweltmeister. Eine grandiose Erfolgsbilanz, die vor allem dem DFB und seinen Bundestrainern zuzuschreiben ist. Doch damals hatten wir den Anschluss verpasst. Der DFB hatte an Einfluss verloren, und die großen Profivereine bestimmten die Marschrichtung. Klubs wie die Bayern, Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen oder Schalke 04 setzten lieber „fertige“ ausländische Spieler ein als junge deutsche Talente. Das ist keine gute Entwicklung. Sicherlich: Gerade in Zeiten der Fremdenfeindlichkeit und des Rassismus haben multikulturelle Teams eine symbolische Bedeutung für das friedliche Zusammenleben der Menschen, in allen Teilen der Welt, und auch bei uns. Vielleicht bewirken die afrikanischen Spieler in der Bundesliga mehr für die Integration ,,fremder“ Menschen als alle Sonntagsreden. Die Begegnung mit verschiedenen Spielerkulturen aus aller Welt kann den deutschen Fußball befruchten. Doch das darf nicht zu Lasten der eigenen Nachwuchsarbeit gehen, gerade nicht bei den reichen Profivereinen. Ich habe viele Jahre im Talentförderungsprogramm des DFB mitgearbeitet und sah die Defizite erst richtig, als ich am Puls der Dinge war. Zu dieser Zeit kamen fast 53 % der Bundesligaspieler aus dem Ausland. Das war, zusammen mit England, ein europäischer Spitzenwert. Im Land des damaligen Welt- und Europameisters Frankreich waren es dagegen gerade mal 24 %. Das sollte uns zu denken geben, und andere Verbände hatten auch schon Konsequenzen gezogen. Der spanische Nationalverband beispielsweise hatte beschlossen, die Höchstzahl der nichteuropäischen Spieler pro Mannschaft von sechs auf vier zu stutzen. Auch Ottmar Hitzfeld plädierte für Begrenzungen. Er schlug vor, dass neun von 18 in einem Bundesliga-Match aufgebotenen Spieler Deutsche sein sollen. „Es geht um die Zukunft des deutschen Fußballs“, sagte er. Damit hatte er Recht. Doch es blieb vorerst dabei, dass dem Nachwuchs zu selten echte Chancen geboten wurden.

Erfolg ist fast immer etwas Kurzfristiges

Die wenigen jungen deutschen Spieler, die trotzdem den Weg nach oben schaffen, werden von den Medien sofort zu Stars hochgepuscht und von den Vereinen mit Millionen umworben. Plötzlich sind sie für Hunderttausende Jugendliche zu Idolen geworden. Der daraus erwachsenden gesellschaftlichen Verantwortung sind sich viele jüngere Spieler gar nicht bewusst oder können es noch nicht sein. Erfolg und Anerkennung muss sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens erarbeiten. Erfolg ist fast immer etwas Kurzfristiges, menschliche Anerkennung auch außerhalb des Berufsfeldes etwas Wertvolles.

In der nächsten Woche lesen Sie die Fortsetzung.

Westerwald-Rundschau vom Mittwoch, 15. August 2018, Seite 12 (2097 Views)

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