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Ein langer Weg gegen das Vergessen

Brunhilde Stürmer und Brigitte Decker halten die Geschichten der Juden im Brohltal lebendig

NIEDERZISSEN. -lakr- Was kann getan werden, damit das dunkle Kapitel der nationalsozialistischen Verbrechen in Deutschland nicht vergessen wird? Wie kann den Opfern gebührend gedacht werden? Für Brunhilde Stürmer und Brigitte Decker aus Niederzissen ist die Antwort auf diese Fragen klar: Indem man die Geschichten der Juden in ihrem Dorf erzählt. Genau das haben die beiden mit der Veröffentlichung ihres Buches „Ein langer Weg. Die Geschichte der jüdischen Familien der Synagogengemeinde Niederzissen im Brohltal“ getan.

Herausgegeben wurde das Buch vom Kultur- und Heimatvereins Niederzissen, bei dem die Autorinnen Vorstandsmitglieder sind. Für ihren beharrlichen Einsatz wurde Brunhilde Stürmer 2018 mit dem „Obermayer German Jewish History Award“ ausgezeichnet.

Feststeht, dass seit 1510 jüdische Familien in Niederzissen als Teil einer friedlichen Gemeinschaft lebten und sich unter anderem in Vereinen engagierten. Doch nach 1945 wurde das alles anders.

Von den jüdischen Bürgern, die einst im Dorf wohnten, hörte die 1943 in Niederzissen geborene Brunhilde Stürmer als Kind häufig. Doch warum es zu dem Einschnitt durch die Nazi-Diktatur kam, erklärte ihr niemand – über die dunkle Zeit wurde damals oft geschwiegen.

Auf Spurensuche

Als sie merkte, wie sich der Ort in den Nachkriegsjahren stärker veränderte, wollte die Niederzissenerin die Vergangenheit dokumentieren und begann, Fotos mit alten Ansichten des Dorfes zusammenzutragen. Dabei fehlte der Sammlerin ein Bild der ehemaligen Synagoge.

Sie erfuhr, dass ein Mann namens Karl Berger der letzte Vorsteher der Synagoge war. Ihr wurde die Adresse seines Sohnes Richard Berger genannt – in New York. Sie zweifelte, ob sie ihn wirklich um Fotos der Synagoge bitten sollte: „Das konnte ich ja eigentlich nicht verlangen, dass er mir auch noch hilft, nach allem, was ihm geschehen ist. Ich habe hin und her überlegt – aber ich musste es einfach riskieren.“ Nach einer Weile geschah dann das Unfassbare: Ein Brief aus den USA kam; in ihm befanden sich fünf Originalfotos: „Dass Richard Berger das gemacht hat, mir auch noch die Originale überlassen hat, das hat mich so berührt. Da habe ich mir geschworen: Das hat er nicht umsonst gemacht.“

Der Geschichte Gesichter geben

Ihr Versprechen hielt sie: Nach diesem Ereignis stand für Brunhilde Stürmer fest, dass sie ein Erinnerungsbuch schreiben wollte, das die facettenreichen Biografien der jüdischen Familien im Brohltal erzählt. Dafür begab sie sich in Archive und forschte intensiv vor Ort. Einen Entwurf hatte sie bereits fertiggestellt, als sie über die Arbeit im Kultur- und Heimatverein Brigitte Decker kennenlernte. Diese war Förderschullehrerin mit abgeschlossenem Geschichtsstudium. In ihr fand sie die ideale Partnerin: „Wir passen einfach gut zusammen“, sagt Brigitte Decker, die für die Dokumentation kontrollierte und den Inhalt redaktionell aufbereitete.

„Ein langer Weg“ soll mit einer großen Daten- und Bilderfülle die Geschichte der Juden und der ehemaligen Synagogengemeinde Niederzissen veranschaulichen und öffentlich machen. Der Schwerpunkt des Buches liegt dabei auf den individuellen Lebenswegen der jüdischen Mitbürger im Brohltal, soll aber auch eine allgemeine geistes- und kulturgeschichtliche Entwicklung aufzeigen. Das Buch ist nach Orten gegliedert und so aufgebaut, dass die biografischen Daten immer in Zusammenstellung mit der Synagogengemeinde angeführt werden. In Zwischenkapiteln wird über wichtige Aspekte jüdischen Lebens in der Landgemeinde aufgeklärt. So gibt der Text auch einen detaillierten Einblick in bisher wenig dokumentierte Gebiete: „Im Gegensatz zum jüdischen Großbürgertum sind die kleinen Landjudengemeinden oft im Dunkel der Geschichte untergegangen. Umso wichtiger ist es, dass dieses Kapitel deutscher Geschichte festgehalten wird.“ , betont Decker.

Der Titel des Buches „Ein langer Weg“ verweist zunächst auf Brigitte Stürmer und ihr Lebenswerk. Sie setzt sich seit mittlerweile 40 Jahren für die Aufarbeitung der jüdischen Geschichte im Brohltal ein und recherchiert außerdem nach Nachfahren der dortigen Juden. Viele der Nachkommen wissen erst durch ihre Arbeit, dass sie weltweit Verwandte haben.

So wurde auch die Buchpräsentation in der ehemaligen Synagoge zu einer berührenden Zusammenkunft, bei der über 20 Nachfahren Niederzissener Juden anwesend waren. Der Buchtitel „Ein langer Weg“ steht ebenfalls für ihren Mut, oft zum ersten Mal deutschen Boden zu betreten.

Dass die einstige Synagoge, die älteste im Landkreis Ahrweiler, wieder öffentlich zugänglich ist, ist ebenfalls Brunhilde Stürmer und dem Kultur- und Heimatverein zu verdanken. Seit 2012 dient die 1938 zerstörte Synagoge nun als Erinnerungs- und Begegnungsstätte. Im angrenzenden Museum können Besucher den „langen Weg“ der jüdischen Geschichte nachvollziehen.

„Never again“ – niemals wieder

Dass der „lange Weg“ der Juden ein schreckliches Kapitel deutscher Geschichte enthält, darf nicht vergessen werden. Auf dem Buchcover ist ein Foto von Sibilla Bär, genannt „Billa“. Ihr Schicksal als alleinerziehende Kriegerwitwe steht stellvertretend für einen langen Lebensweg vieler Juden, der manchmal in der Immigration, oft aber auch mit dem gewaltsamen Tod endete.

Die beiden Buchautorinnen möchten aber durch ihre Arbeit ebenso zeigen, dass das jüdische Leben im Brohltal nicht nur aus jenen leidvollen zwölf Jahren besteht oder gar mit diesen endet.

„Heutzutage“ heißt daher ein Bereich der Ausstellung im Museum: In diesem wird das gegenwärtige jüdische Leben in den naheliegenden Städten dargestellt. Die Geschichte der Niederzissener Juden endet allerdings nach dem zweiten Weltkrieg. Die beiden Engagierten setzen sich dafür ein, dass solche furchtbaren Ereignisse wie der Holocaust nicht wieder passieren. Um aber aus der Geschichte lernen zu können, ist die Erinnerung an die Vergangenheit unerlässlich: Ein Bronzerelief in der ehemaligen Toranische der Synagoge, unter dem die Namen aller von Niederzissen aus deportierten Juden vermerkt sind, trägt zu diesem Zweck die mahnende Inschrift: „Never again“ – niemals wieder.

Das Buch „Ein langer Weg. Die Geschichte der jüdischen Familien der Synagogengemeinde Niederzissen im Brohltal“ (ISBN: 978-3-00-057514-3) ist in der Buchhandlung Maria Laach und beim Kultur- und Heimatverein Niederzissen e.V. käuflich zu erwerben. Weitere Infos zum Verein unter: www.khv-niederzissen.de.

Andernach AW vom Samstag, 11. August 2018, Seite 3 (377 Views)

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